Landwirtschaft, Auswanderung und Branntwein
Was die Bauern sich am Mund abgespart, das hatten die fremden Soldaten während der langen Besatzungszeit verzehrt, und so blieb das Volk nach wie vor in der Knechtschaft, nur in veränderter Form. Die Verarmung hatte mittlerweile so zugenommen, dass viele ihr Besitztum, das wohl Jahrhunderte der Familie gehört hatte, nicht mehr halten konnten.
Auch in Schenklengsfeld gab es eine Anzahl schöner und großer Bauerngüter, deren Besitzer in dieser Zeit, teils durch die kärglichen Erträgnisse der Landwirtschaft, teils durch die unsicheren politischen Zustände, teils durch die drückenden Lasten, die diese im Gefolge hatten, derartig in den Rückstand kamen, dass sie sich schließlich gezwungen sahen, ihr Besitztum zu verkaufen und mit dem kleinen Vermögen, das ihnen nach Bezahlung ihrer Schulden übrig blieb, nach Amerika auszuwandern.
Ob sie nun in der neuen Heimat ihr Glück gefunden haben, hat man nicht immer erfahren können. Man weiß jedoch, dass recht viele von ihnen sehr enttäuscht wurden und manche auch wieder arm zurückgekommen sind. Wenn hier und da einmal einer wirklich hochgekommen ist, so hat er sicher noch mehr Entbehrungen durchmachen müssen, als er es in seiner alten Heimat erfahren hat. Und doch hat die Auswanderung immer mehr zugenommen. Ganze Scharen reisten über das große Wasser nach Amerika. Jung und Alt wollte die Bürde der verarmten Heimat abschütteln und sich den Kampf ums Dasein in der großen Welt etwas erleichtern. Oft wurde das volkstümlich gewordene Abschiedslied: „Bald ist die Zeit und Stunde da, wir ziehen nach Amerika“, wenn auch mit scheinbarer Begeisterung, so doch unter Beimischung einer nicht zu verkennenden Wehmut, gesungen.
Die Bevölkerung hatte sich derart vermehrt, dass ihr Nachwuchs in fast sämtlichen Dörfern des Amtes Landeck und besonders des Ortes Schenklengsfeld meistens gezwungen war, auszuwandern. Die Heimat war nicht in der Lage, den jungen Leuten eine auskömmliche Verdienstmöglichkeit zu bieten, und so blieb gewöhnlich von jeder Familie nur ein Kind, welches das väterliche Erbe übernahm, zu Hause, alle anderen gingen in die Fremde, um sich eine neue Heimat zu suchen. Durch Übertragung des Hauses auf einen Sohn (es war nicht immer der älteste) und auch des väterlichen Handwerks, haben sich die Familiennamen recht lange in ein und demselben Hause gehalten.
So ist beispielsweise festgestellt worden, dass in einer Familie das Schreinerhandwerk ungefähr 250 Jahre hindurch geblieben ist und hoffentlich noch recht lange bleiben wird. Die in Schenklengsfeld seit undenklichen Zeiten herrschenden recht dürftigen Lebensbedingungen sind nur einmal eine kurze Zeit unterbrochen gewesen. Und zwar haben sie Anfang des 18. Jahrhunderts einem leidlichen Wohlstand Platz gemacht. In dieser Zeit trug der Landecker silberne Schnallen auf den Schuhen und die Landeckerin gebogene Silbermünzen um den Hals. Doch hat dieser Reichtum bald wieder einer umso größeren Armut Platz gemacht. Auf die sogenannten sieben fetten Jahre sind, man kann wohl sagen, siebzig magere Jahre gefolgt.
Wenn man sich die Löhne vergegenwärtigt, so muss man zugeben, dass die Verhältnisse mehr als dürftig waren. So bekam ein tüchtiger Knecht jährlich
sechs Thaler Lohn und einige Nebenvergünstigungen. Der tägliche Lohn für Tagelöhner betrug 25 Heller. Hierfür wurde nachts um 1 Uhr angefangen zu dreschen. Dies dauerte bis Mittag, dann begannen die Aufräumungsarbeiten, die sich bis zum Eintritt der Dunkelheit hinzogen. Der Arbeitstag im Sommer begann um 4 oder 5 Uhr morgens und endete, nachdem die Sonne längst untergegangen war. Die Bauern hatten aber auch keine Einnahmequellen, die Viehzucht lohnte sich nicht, da das Futter immer knapp war. Für das Vieh selbst war kein Absatzgebiet vorhanden, weil infolge der allgemeinen Armut wenig Fleisch gegessen wurde. So kostete eine Kuh sechzehn Thaler, das Pfund Rindfleisch vier Kreuzer, das Malter Korn (1 ¾ Zentner) ein Thaler, zehn Silbergroschen. Es ist sogar vorgekommen, dass zehn Ferkel für ein einziges Hemd, das damals einen Wert von fünfundzwanzig Heller hatte, eingetauscht wurden. Ein Geschäft, bei dem allerdings recht wenig zu verdienen war.
Doch nicht allein die Speisen, sondern auch die Getränke waren billig. So kostete ein Kännchen (ein achtel Liter) Branntwein einen Kreuzer, ein Schoppen einfaches Bier vier Heller. Der Branntwein, er wurde damals in sechs Brauereien in Schenklengsfeld gebrannt, war das Hauptgetränk der Männer und musste über manche Sorge hinweghelfen. Daher auch das Sprichwort: „es ist bekannt von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör“. Likör kannte man damals wohl weniger, höchstens gab es für die Frauen einen sösse Brahntevieh, eine Art Kirschlikör. Der wurde jedoch nur gelegentlich, während einer Tanzveranstaltung getrunken.
An und für sich war der damalige Branntwein, mäßig genossen, ein weniger schädliches Getränk, da er noch frei von Ersatzstoffen war. Es ist aber doch hier und da vorgekommen, dass der Genuss des Branntweins sich mit den immer größer werdenden Sorgen entsprechend steigerte. Und so konnte es nicht ausbleiben, dass er diesen und jenen von seiner Scholle vertrieben hat. Denn ein Unglück kommt selten allein. Missernte, Verdruss in der Familie, Unglück in der Viehzucht und dergleichen mehr erhöhten das Elend, so dass aus Verzweiflung zu diesem vermeintlichen Sorgenbrecher gegriffen wurde. Damit war das Schicksal so mancher fleißigen Familie, die sich von früh bis spät redlich gequält hatte, um ihren Besitz zu retten, besiegelt.
Schon in den 1860er Jahren sind sämtliche Brennereien eingestellt worden, der Grund hierfür war wohl darin zu suchen, dass diese den damals entstandenen großen Industriebrennereien nicht Stand halten konnten.