Die jüdische Gemeinde Schenklengsfeld

Die jüdische Gemeinde in Schenklengsfeld war in den 1880/1890er Jahren eine der größten des Bezirksrabbinats Fulda. Die ersten Juden siedelten sich nachweislich in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts in Schenklengsfeld an. Aus den um 1800 hier im Dorf lebenden Familien entwickelte sich allmählich die jüdische Gemeinde.
Die jüdischen Einwohner lebten vom Vieh- und Kleinwarenhandel. Die meisten von ihnen übten außerdem das Gewerbe des Metzgers aus. Einer der ersten Händler war Hermann Herz, der mit Eisenwaren handelte und allgemein „Eisenherz“ genannt wurde. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der jüdischen Bewohner deutlich zu, als Familien aus Erdmannrode, Mansfeld und Rhina nach Schenklengsfeld kamen. Ihre höchste Zahl wurde um 1880/1900 erreicht.

Ab den 1820er Jahren bildeten die Juden des Dorfes eine eigenständige Synagogengemeinde orthodoxer Prägung, die dem Rabbinat Fulda unterstand. In ihrem Besitz war bis 1833 ein Gemeindehaus, das vermutlich schon im 18.Jahrhundert als Synagoge, Schule und Wohnung des jüdischen Religionslehrers genutzt wurde. Es wurde wegen Baufälligkeit abgerissen und ein neuer Synagogenraum in einem Anbau eines Privathauses bezogen. Diese Räumlichkeit wurde später vergrößert, sodass sie bis Anfang der 1880er Jahre den Ansprüchen der Gemeinde genügte. 1883 wurde ein Synagogenneubau errichtet und eingeweiht. Er stand an der gleichen Stelle, an der sich schon die alte Fachwerk-Synagoge befunden hatte.
Um 1890 ließ die Gemeinde für die etwa 50 jüdischen Kinder ein kleines Schulgebäude errichten, das das alte Gemeinde-Schulhaus ersetzte, in dem seit 1850 die eigene Elementarschule ihr Domizil hatte.

Nur wenige Jahre vor der NS- Machtübernahme weihte die orthodox geprägte Gemeinde Schenklengsfeld eine neue Thorarolle ein. In einem Bericht der Zeitschrift „Der Israelit“ hieß es dazu: „Schenklengsfeld, 1. Dez. Am Schabbes Lech Lecha fand die feierliche Einweihung einer von Herrn Levi Tannenberg gestifteten neuen Sefer Tora (Thorarolle) statt. Nach Beendigung des Minchagebetes am Freitagnachmittag wurde die neue Thorarolle durch die alten Thorarollen, welche durch die ältesten Gemeindemitglieder der neuen Torarolle entgegengetragen wurden, eingeholt. Am Eingang der Synagoge nahm Herr Provinzialrabbiner Dr. Cahn die Thorarolle in Empfang. Beim Einzug wurde sie durch das Boruch-Habboh des vierstimmigen Männerchores begrüßt. Hierauf folgten die Umzüge unter Gesang des Ono Haschem. Die Thorarollen wurden unter Chorgesang … in die heilige Lade zurückgebracht. Nach der sehr eindrucksvollen Ansprache des Herrn Rabbiner sang der Chor.

Den Glanzpunkt des feierlichen Tages bildete die Rede unseres verehrten Rabbiners beim Schabbes-Morgengottesdienste. Seine herrlichen Worte, die von glühendster Begeisterung für Thora und Wahrheit getragen waren, zogen alle Hörer in Bann und versetzte die ganze Gemeinde in tiefste Ergriffenheit. Nach Sabbatausgang versammelte sich die Gemeinde mit ihren Gästen zu einem gemütlichen Abend im Saale des Gasthofes „Zur Linde. Lehrer Grünewald hielt sodann eine Begrüßungsrede an die Festteilnehmer, in welche er den Dank der Gemeinde an die Stifter der Thorarolle einschloss und dem Wunsche Ausdruck verlieh, dass die Worte unseres verehrten Herrn Rabbiner reichliche Früchte tragen und mit der neuen Thorarolle auch ein neuer jüdischer Geist in unsere Gemeinde, insbesondere in die Herzen des heranwachsenden Geschlechtes einziehen möchte. In später Nachtstunde trennte man sich mit dem Bewusstsein, einen Tag verbracht zu haben, der einer wirklichen – von Gott gebotenen Freude – geweiht war.“
Ihre Verstorbenen beerdigten die Schenklengsfelder Juden zunächst auf dem jüdischen Friedhof von Mansbach. Um 1870 legte man in Ortsnähe eine eigene Beerdigungsstätte an.

Die Juden von Schenklengsfeld trugen um 1900 zu mehr als der Hälfte des gesamten Steueraufkommens der Kommune bei. Zu den bekanntesten Kaufleuten zählten der Getreidehändler Löwenberg und die Pferdehändler Abraham und Weinberg. Auch an den politischen Entscheidungen des Ortes waren jüdische Bürger wesentlich mitbeteiligt. In den Jahren der Weimarer Republik gehörten sie stets der Gemeindevertretung an. Doch engere persönliche Beziehungen zwischen Juden und Christen bestanden in Schenklengsfeld nicht: „Man wohnte zwar zusammen, doch lebte man im Grunde streng voneinander getrennt”.
Um 1930 existierten in Schenklengsfeld etwa 35 jüdische Geschäfte oder Gewerbe. Neben den zahlreich vertretenen Viehhändlern gab es viele Einzelhändler, teils mit relativ großen Geschäften.
1922/1923 hatte sich in Schenklengsfeld eine national-völkische Gruppe („Bund Oberland”) gebildet, das antisemitisches Gedankengut verbreitete. Zwei Jahre später wurde die NSDAP-Ortsgruppe Schenklengsfeld gegründet; sie war die erste im Kreis Hersfeld. Nach der NS-Machtübernahme 1933 trat die lokale NSDAP und SA zunehmend in den Vordergrund. Zu ersten gewalttätigen Übergriffe gegen Juden kam es bereits Mitte März 1933. Der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 dürfte auch in Schenklengsfeld stattgefunden haben. Allerdings liegen keine entsprechenden Zeitungsmeldungen vor.

Zu den antijüdischen Schikanen der Gemeindebehörde gehörte auch die Schließung der jüdischen Volksschule am Ort.
Aus dem Bericht des Landrates vom August 1935:
„… Wenn die Juden besonders in ländlichen Orten, in letzter Zeit wieder ein herausforderndes Auftreten an den Tag legen, so wurde auch andererseits bemerkt, dass Bauern mit jüdischen Händlern von neuen geschäftlichen Verbindungen anknüpften. …. Aus Schenklengsfeld mussten zwei jüdische Viehhändler in Schutzhaft genommen werden. Einer von ihnen hatte ein altes Parteimitglied öffentlich schwer beleidigt. Der andere soll sich beim Viehhandel einer Äußerung bedient haben, die einen schweren Angriff gegen Volk, Staat und Partei enthält. Die Folge war, dass die Juden verprügelt wurden, nachdem 10 – 15 Personen in ihre Häuser eingedrungen waren, …“
In den ersten Jahren der NS-Zeit wurde der jüdische Friedhof geschändet. Ein Großteil der Grabsteine wurde umgeworfen, auch Fensterscheiben wurden eingeworfen und antisemitische Hetzplakate aufgehängt. Doch nicht alle Dorfbewohner waren mit diesen antijüdischen Gewaltmaßnahmen einverstanden, wie aus einem Schreiben des Bürgermeisters vom April 1937 hervorgeht: „Es gibt hier in Schenklengsfeld leider noch einige Einwohner, die ganz enge Beziehungen zu Judenfamilien unterhalten.” 1935/1936 setzte auch in Schenklengsfeld verstärkt die Ab- und Auswanderung jüdischer Einwohner ein.
Am 9.November 1938 wurde eine antijüdische Demonstration vor der Synagoge abgehalten, eine Brandlegung des Gebäudes unterblieb jedoch. Neun jüdische Männer wurden in Schenklengsfeld inhaftiert. Alle – bis auf einen – wurden über Kassel in einem Sammeltransport ins KZ Buchenwald überstellt. Ende des Jahres 1939 lebten nur noch sechs jüdische Bürger am Ort, alle anderen waren in größere Städte verzogen oder in die Emigration gegangen. Auf Betreiben der lokalen NS-Behörden wurde das Synagogengebäude im Februar 1939 abgerissen. Ein Teil des Abbruchmaterials wurde zum Bau von RAD (Reichsarbeitsdienst)-Baracken benutzt. Die Grundstücke der jüdischen Gemeinde gingen für einen geringen Betrag ins Eigentum der Kommune über.
Nachweislich sind 23 Juden, die zu Beginn der 1930er Jahre in Schenklengsfeld gewohnt haben, in den Vernichtungslagern im besetzten Osteuropa ermordet worden. Nach Kriegsende kehrten nur zwei Juden in den Ort zurück, emigrierten jedoch nach einem Jahr in die USA.
Der jüdische Friedhof weist heute noch mehr als 100 Grabsteine auf. Im Rahmen der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 wurde hier ein Mahnmal aufgestellt, das namentlich die Opfer der Shoah (hebräisches Wort für „Holocaust“) nennt.

Die Synagoge

Am 15. November 1883 fand die feierliche Einweihung in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste statt. Über die Feierlichkeiten berichtete am 24. November 1883 auch das „Hersfelder Intelligenz- und Anzeigenblatt“ in einem längeren Artikel.

Die neue Synagoge besaß an der Westseite ein größeres Eingangs- bzw. Treppenhaus. Von hier konnten die Männer ebenerdig ihre Synagoge betreten. Die Frauen gelangten über ein abgetrenntes Treppenhaus auf die Empore, die sich zur Ostseite hin öffnete. Die Inneneinrichtungen und die Frauen-Empore waren in Holz ausgeführt. In der Mitte der Ostseite konnte man über drei halbrund angeordnete Stufen den Thora-Schrank erreichen, der in einer tiefen Nische der Mauer eingebaut war. Die sechseckige Bima (auch Almemor genannt) mit dem Vorlesetischstand leicht erhöht in der Mitte des Raumes. In den ersten Jahrzehnten wurde die Synagoge mit den damals üblichen Öl- bzw. Kerzenlampen ausgeleuchtet, erst nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Schenklengsfeld elektrisches Licht.

Zur Zeit nationalsozialistischen Herrschaft in der Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, kam es zu Sachbeschädigungen an der Synagoge. Seit 1938 haben die noch anwesenden Juden ihre Gottesdienste nicht mehr in der Synagoge, sondern in einem Privathaus gehalten.
In der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 gab es zwar eine Demonstration an der Synagoge, doch wurde sie wegen der Feuergefahr für die nahestehenden Wirtschaftsgebäude der Nachbarn nicht in Brand gesteckt. Auf Betreiben der „NS-Ortsführung“ mußte die Synagoge Ende Februar 1939 abgerissen werden.

Opfer der Verfolgung

Von den in Schenklengsfeld geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945“, ergänzt durch Namen, die auf dem Gedenkstein des Friedhofes stehen:

Bernhard Abraham (1871), Fanni Atzel geb. Tannenberg (1887), Meta Buchsbaum geb. Abraham (1883), Bertha Cohn geb. Tannenberg (1876), Hermann Eichhorn (1889), Irma Eichhorn (1900), Bertha Eschwege (1891), Joseph Eschwege (1885), Zerline (Cäcilie) Eppstein geb. Weinberg (1868), Gerhard Goldschmidt (1923), Elsa Goldschmidt (1887), Fredy Salomon Goldschmidt (1914), Gerhard Goldschmidt (1923), Isaak Goldschmidt (1891), Johanna Goldschmidt geb. Löwenberg (1887), Menachem Goldschmidt (1885), Minna Goldschmidt geb. Abraham (1875), Jakob Grünewald (1869), Irma Grünewald (1903), Jakob Katz (1876), Karl Katz (1925), Liebmann Katz (1873), Max Katz (1891), Emma Katzenstein geb. Oppenheim (1885), Moritz Lauchheimer (1890), Johanna Levi geb. Löwenberg (1878), Recha Levi geb. Nathan (1878), Bernhard Löwenberg (1880), Emma Löwenberg geb. Plaut (1888), Fritz Löwenberg (1934), Kurt Löwenberg (1934; Fritz und Kurt waren Zwillingsbrüder, Sally Löwenberg (1882), Johanna Levy geb. Löwenberg (?), Klara Löwenberg (1892), Leopold Nathan (1887), Jette (Jettchen) Nußbaum geb. Vogel (1858), Susanne (Sußme) Nußbaum (1891), Magnus Oppenheim (1867), Mathilde (Male) Oppenheim geb. Tannenberg (1875), Rosa Oppenheim (1893), Siegfried (Isaak) Oppenheim (1893), Sara Seligmann geb. Weil (1885), Irma Sichel geb. Grünewald (1903), Johanna Sommerfeld geb. Oppenheim (1877), Sara Selma Spiro (1887), Abraham Tannenberg (1874), Arthur Tannenberg (1900), Betti Tannenberg geb. Oppenheim (1882), Isaak Tannenberg (1865), Jonas Tannenberg (1878), Klara Tannenberg (1909), Levi Tannenberg (1879), Leopold Weil (1878), Hermann Weinberg (1876), Julius Weinberg (1901), Leopold Weinberg (1874), Dr. Magnus Weinberg (1867), Mathilde Weinberg (1890), Max Weinberg (1877), Eva Wolff geb. Tannenberg (1878).