Die Zeit der Besiedlung
Als Sturm* auf seiner ersten Wanderung um 719 durch die große buchonische Wildnis an die Stelle gekommen war, an der heute Bad Hersfeld steht, hatte er mit seinen Gefährten bereits einen Teil des Landes gerodet, einige Hütten gebaut und mit Gebeten und frommen Gesängen den Ort geweiht. Nach diesen Vorbereitungen folgte jedoch nicht die Gründung eines Klosters, weil Bonifatius dagegen Einspruch erhob. Einige Jahrzehnte später nahm jedoch Lullus seinen ersten Plan wieder auf und legte im Jahre 769 den Grundstein zum Kloster Hersfeld. Karl der Große, dessen Interesse Lullus geweckt hatte, beschenkte die Abtei in der folgenden Zeit mit weiteren Gütern, sodass sie bald zu großem Ansehen gelangte. Noch mehr aber verbesserte sich der Ruf des Klosters, als Lullus mit der Erlaubnis des Kaisers die Gebeine seines Lehrers und Freundes Wigbert vom Büraberg bei Fritzlar hierherbringen und in der von ihm erbauten Kapelle beisetzen ließ. In dieser fand er selbst nach seinem Tod, am 16. Oktober 786, die letzte Ruhestätte.
Vom neuen Kloster aus verbreitete sich die Kultur schon bald nach allen Seiten, besonders jedoch nach Osten. Die etwa 150 Mönche, die zu dieser Zeit des Aufschwungs zum Kloster gehörten, konnten sehr gut mit Art und Säge umgehen und so große Waldflächen urbar machen. Da sie genau wie ihre Vorfahren bei ihren Rodungen dem Lauf der Flüsse folgten, stiegen sie auch im Solztal aufwärts bis zu der Stelle, an dem sich verschiedene Quellbäche vereinigen und die Solz entspringt. Hier gründeten sie auf einer nahen Anhöhe die Niederlassung, aus der das spätere Lengsfeld entstanden ist. Der neue Ort übte auf die weitere Umgebung einige Anziehungskraft aus und bald erschienen von nah und fern neue Ansiedler, die dem Beispiel der Mönche folgten. Sie wandelten in der Folgezeit den Urwald in fruchtbare Ackerfluren um. Aber auch fremde Hilfe wurde dem jungen Kloster in reichlich zuteil. Kaiser Karl der Große schenkte im Jahre 782 der Abtei Hersfeld einen Besitzstand von 1039 Hufen. Die Hufe rechnet man damals als etwa 30 Acker. Also dürfte die Schenkung ungefähr 3117 Acker betragen haben, die etwa der Fläche des heutigen Seulingswaldes (3500 Acker) entsprechen.
Wahrscheinlich war diese Schenkung jedoch viel umfangsreicher, wenn man annimmt, dass die erwähnten Hufen sogenannte Königshufe waren. Also mehr als 40 Tagewerke (1 Tagewerk ungefähr 1 ½ Acker) enthielt.

Rechnet man auf eine Königshufe nur 4 Familien, so war damit für 4156 Familien gesorgt. Allerdings dürfte das geschenkte Gelände fast nur Urwald gewesen sein und sich von der Fulda bis an die Ulster über den nördlichen Teil Buchoniens ausgedehnt haben. Laut Urkunde vom 30. November 786 schenkte Karl der Große der Abtei Hersfeld auch noch den Zehnten (eine etwa zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche Institution) im Hessengau, sowie die Ansiedlung Dorndorf an der Werra.

Es war damals eine sehr unruhige Zeit, denn unsere Nachbarn im Norden, die Sachsen, fielen oft raubend und brennend in Hessen ein. Wegen der Sachsen hatte man daher zunächst Bedenken, das Kloster Hersfeld an seiner heutigen Stelle zu errichten. Diesem Unwesen hat Karl der Große mit kräftiger Hand ein Ende gesetzt, indem er in einem blutigem, sich über dreißig Jahre hinziehenden Krieg die heidnischen Sachsen sich und dem Christentum unterwarf und so unserem Lande auf lange Zeit Ruhe und Frieden gesichert hat.

In ähnlicher Weise wie die Niederlassung an der Solz entstanden damals in unserer Gegend noch einige andere Orte, aus deren Namen wir einige Schlüsse auf ihre Urgeschichte ziehen können. Entstand die Ansiedlung an einem abgelegenen Ort, der noch keinen Namen hatte, so war es selbstverständlich, dass dieser seinen Namen von dem Gründer und Erbauer erhielt. So erklären sich zahlreiche Ortsnamen die mit – au, bach, berg, born, dorf, feld, hagen, hausen, heim, rode, stadt enden und die in der späteren Zeit weniger nach der Beschaffenheit des Ortes oder des Wassers genannt, als mit Personennamen zusammengesetzt wurden. So haben wir denn auch in Buchonia Rodungen, wie Kerspenhausen, Mengshausen, Rotterode, Reckerode, Gershausen, Heringen, Frielingen und anderen Dörfern. Urkundlich zu beweisen ist die genannte Aufzählung allerdings nur bei wenigen, wie bei Dietershausen oder Kathus. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die größte Zahl der Ortsgründungen noch vor die Klostergründung fällt. In die Zeit nach Einführung des Christentums gehören meist diejenigen Orte, deren Namen mit Kappel, Kirchen, hagen und anderen zusammengesetzt sind.

Wie bereits erwähnt, war die Gegend, in der sich die Mönche niederließen, keinesfalls völlig unbewohnt, denn höchstwahrscheinlich sind schon die Römer in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung längs der Flüsse, am Main, an der fränkischen Saale und an der Werra, weit nach dem Norden Germaniens, vorgedrungen. Für eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung der Gegend spricht auch der Umstand, das sich auf den Bergen dieser Landschaft eine große Anzahl von Volksburgen befindet, deren Reste in heutiger Zeit eingehend von Seiten des Königlichen Museums in Kassel und des Hessischen Geschichtsvereins durchforscht werden. Dazu gehören die Ringwälle auf dem Stallberg bei Rasdorf, Grasburg, Oechsen bei Vacha, Geiskopf am Dietrichsberg bei Mansbach, Arzberg, Hessenkuppe und Bener bei Dermbach und einige andere. Die Frage nach ihrem Ursprung ist bis heute noch umstritten. Manche Forscher schreiben sie den Kelten, andere wieder unseren Vorfahren, den Katten, zu. Sicher ist jedoch, dass die Volksburgen Buchoniens lange Zeit den Katten als Grenzwehr gegen die feindlichen Hermanduren (Thüringer) gedient haben.

Zur Zeit als die Missionare erschienen, war auch die weitere Umgebung Buchoniens, wie aus vielen urkundlichen Nachrichten mit Sicherheit zu schließen ist, schon ziemlich bevölkert. Andererseits darf man aber nicht jeder Nachricht ohne weiteres Glauben schenken, die uns etliche Schriftsteller in Bezug auf den Kulturzustand überliefert haben. Wenn sich beispielsweise in den Merian-Heften eine Ansicht des Schlosses Friedewald aus dem 7. Jahrhundert befindet, so entspricht dieses Bild sicher nicht der Wirklichkeit. Es steht hingegen fest, dass auf dem Dreienberg früher eine Burg gestanden hat, deren Ursprung sehr weit zurückliegen dürfte.
Ebenso war die Siedlung Creuzberg (Philippsthal) schon zur Zeit Karls des Großen vorhanden. Es ist also anzunehmen, dass der große Buchenwald – unser heutiger Buchenwald ist nur noch ein Überbleibsel desselben – zwar lange in seinem Urzustand verbleiben ist, seine Umgebung jedoch schon in alter Zeit einen nicht unbedeutenden Verkehr aufweisen konnte.

* Sturm (Dieser Heilige heißt wirklich Sturm. Zwar wird er in alten Büchern Sturmius genannt, aber diese Endung „ius“ ist nur ein lateinisches „Hintendran“, dass man dem Namen angehängt hat) war ein Bayer und seine Eltern, die aus einem alten Adelsgeschlecht stammten, waren gute Christen. Sie schickten ihren Sohn nach Fritzlar in Hessen auf die Domschule. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte dort der heilige Bonifatius die Donnereiche niedergehauen und die Leute zum christlichen Glauben bekehrt.

Und Bonifatius, dieser prachtvolle Hüne, der die Furcht nicht kannte, der war nun so recht nach Sturms Geschmack. So einer wollte er auch werden, ein draufgängerischer Held. Aber er wollte nicht einem Herrscher dieser Welt gehorchen, sondern er wollte dem König Christus dienen und nachfolgen. Bonifatius hatte jedenfalls seine helle Freude an dem quirligen Jungen und weihte ihn selbst nach der Lehr- und Studienzeit zum Priester. Der heilige Sturm gehört mit dem heiligen Bonifatius, an dessen Seite er in Fulda die letzte Ruhestätte gefunden hat, zu den großen Missionaren unseres Landes.